900 Jahre Kulturgeschichte - saniert in 592 Tagen

Stiftskirche Cappenberg

Die landeseigene Stiftskirche Sankt Johannes Evangelist in Selm-Cappenberg nördlich von Dortmund ist eine im Wesentlichen unverändert gebliebene Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Sie war Herzstück des ersten Prämonstratenserklosters im deutschen Raum, dessen Orden hier einen Ort von höchster baugeschichtlicher und kunsthistorischer Bedeutung geschaffen hat.

Anlässlich der 900-Jahr-Feier entschied das Land Nordrhein-Westfalen, die Kirche Sankt Johannes Evangelist einer umfangreichen Generalsanierung zu unterziehen. Trotz des sehr knappen Zeitplans von nur anderthalb Jahren wurden die Arbeiten im Kostenrahmen und pünktlich zum Jubiläum abgeschlossen.

Enges Teamwork meistert die Zeitvorgabe

Die Kirche wurde in kürzester Zeit quasi runderneuert. Um dies zu schaffen, musste gleichzeitig innen und außen gearbeitet werden. Dies erforderte eine gute Vorplanung, insbesondere in Bezug auf die Logistik und die Baukonzepte. Für die Planung war es wichtig, alle beteiligten Partner einzubeziehen. Die Bezirksregierung Arnsberg fungierte in Vertretung für das Land Nordrhein-Westfalen bzw. das Landesbauministerium als Bauherrin. Die Projektleitung und -steuerung lag bei der Dortmunder Niederlassung des BLB NRW. Dazu kamen die Denkmalpflege des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) und weitere Akteure. „Dass das ambitionierte Zeit-, Kosten- und Qualitätsziel erreicht wurde, ist der engen Zusammenarbeit aller Beteiligten und vor allem den hoch qualifizierten und motivierten Handwerksunternehmen zu verdanken“, lobt Petra Junfermann, die Projektverantwortliche des BLB NRW.

Während die Ausführungsplanung lief, erfolgte parallel eine umfassende Bestandsaufnahme der Kirche per Laserscan. Das detailgetreue, dreidimensionale Gesamtaufmaß wurde zur Basis für die späteren Arbeiten. Außerdem wurden zu Dokumentations- und Forschungszwecken hoch aufgelöste Fotos der bemalten Decke sowie aller anderen Bauteile angefertigt.

Gerüstelemente, die den Handwerkerinnen und Handwerkern helfen, jeden Punkt der Kirche zu erreichen.
© BLB NRW
Symbolisierung des Restraurierungsprozesses

Gerüstelemente, so weit das Auge reicht: Über die ausgefeilte Konstruktion aus Hunderten Stahlstangen und Holzbohlen gelangen die Handwerkerinnen und Handwerker an jeden einzelnen Punkt der Kirche.

Die Kunst der Fuge

Nach Abschluss der Planung begann die Einrüstung der Kirche. Auch im Inneren wuchs ein riesiges Gerüst empor. Dann wurde der erste  Zentimeter von insgesamt zwölf Kilometern Fuge in Augenschein genommen. „Je nach Zustand wurde der Mörtel konserviert, restauriert oder erneuert. Auch mit jedem einzelnen Werkstein des Gebäudes wurde so verfahren“, berichtet Architektin Petra Junfermann. Während der Stein gut erhalten war, musste die Verfugung an vielen Stellen erneuert werden. Dies lag am Fugenmaterial vergangener Sanierungen. Hier hat sich erst nachträglich herausgestellt, dass der verwendete Zementmörtel, damals allgemein anerkannt und Stand der Technik, langsamer als der umgebende Stein verwittert und dadurch heute leicht vorsteht. So kann sich Wasser sammeln und die Bausubstanz beschädigen. Die Fassade wurde außerdem in einem schonenden Verfahren mit Wasser gesäubert, das sich in Vorversuchen als das beste Mittel zur Reinigung bewährt hatte.
 

Eine stille Untermieterin hält das Dach in Ordnung

Die Dacheindeckung sowie das darunter liegende Dachtragwerk waren mit Ausnahme des Kirchturmdaches ebenfalls gut erhalten. Am Hauptdach, zuletzt 1935 gedeckt, mussten nur einzelne Ziegel ersetzt werden. Ersatzziegel waren im Dachraum seinerzeit als Reserve für die Nachwelt hinterlegt worden. Bei der Eindeckung des Kirchturms zeigte sich ein typisches Schieferdachproblem: Hier waren Nägel weggerostet, sodass manche Schieferplatten lose waren. Der Turm wurde denkmalgerecht saniert; ebenso die Seitendächer, die eine Bleieindeckung nach historischem Vorbild erhielten.
 


"Dass das ambitionierte Zeit-, Kosten- und Qualitätsziel erreicht wurde, ist der engen Zusammenarbeit aller Beteiligungen und vor allem den hoch qualifizierten und motivierten Handwerksunternehmen zu verdanken."
Petra Junfermann
Projektverantwortliche BLB NRW

  • Die braune Fassade der restaurierten Stiftskirche.
    © BLB NRW
    Innen sowie außen

    Auch die Fassade sowie das Turmkreuz in 28 Metern Höhe wurden restauriert. 

  • Der hölzerne Dachstuhl der alten Stiftskirche
    © BLB NRW
    Ein Ort der Historie

    Der Dachstuhl: Zeugnis jahrhundertealter Handwerkskunst.

  • Die Kunstglaser bessern die Glasscheiben mit Spezialkitt aus.
    © BLB NRW
    Feinfühliges Arbeiten

    Per Hand haben die Kunstglaser die Scheiben mit Spezialkitt akribisch ausgebessert und abgedichtet. 

Am Dachtragwerk selbst waren nur geringe Eingriffe notwendig. Einen Beitrag dazu leistete sicherlich eine Schleiereule, die noch immer unter dem Dach zu Hause ist und Tauben auf Abstand hält. Anhand der Jahresringe der Dachbalken konnte die hochmittelalterliche und größtenteils bauzeitliche Konstruktion auf die Zeit um 1130 datiert werden. Damit ist sie laut LWL das bedeutendste romanische Dachtragwerk Westfalens!
 

Blütenteppich am Kirchenhimmel

Knapp unter dem Dachboden arbeiteten die Restauratorinnen und Restauratoren an den bis zu 600 Jahre alten Deckenmalereien sowie fast 900 Jahre alten Quadermalereien. Dazu wurden die Flächen zunächst abgesaugt. Dann wurden der verbliebene Staub und Dreck mit einem großen Radiergummi entfernt, bevor eine Endbehandlung mit feuchtem Hochdruckdampf erfolgte. Vor dem neuen Kalkanstrich wurden noch Risse im Putz ausgebessert und die zarten, floralen Ornamente sorgfältig mit Kalktünche konturiert, um sie beim Schlussanstrich vor einer Übermalung zu schützen.

Deutlich aufwendiger waren die Arbeiten an den übrigen Deckenmalereien. „Je nach Erhaltungszustand wurde die jeweils beste Reinigungs- und Retuscheart festgelegt. Dann wurden Hohlstellen und Risse verfüllt, pudrige Malschichten gefestigt oder vorstehende Altergänzungen abgetragen“, erklärt Petra Junfermann die Arbeiten. „An Fehlstellen wurden Ergänzungen vorgenommen. Um Details der Malereien zu betonen, hat man die Hintergründe lasiert. Diese wirken dadurch ruhiger und heben die umgebenden Ornamente hervor.“
 

Fensterputz mit kleinen Schwämmchen

Auch die rund 21.000 Einzelglasscheiben der Kirchenfenster wurden eingehend begutachtet und mit Spezialschwämmen aus Stahlwolle gereinigt. In enger Abstimmung mit der Denkmalpflege des LWL wurden schadhafte Scheiben individuell ausgebessert oder ersetzt. Hier bestand die Herausforderung darin, einen geeigneten Fachbetrieb für diese historische Handwerkskunst zu finden, die viel Spezialwissen über die mittelalterliche Herstellungstechnik der Bleiverglasung voraussetzt.
 


"Um Details der Malereien zu betonen, hat man die Hintergründe lasiert. Diese wirken dadurch ruhiger und heben die umgebenden Ornamente hervor."
Petra Junfermann
Projektverantwortliche BLB NRW

Holzwurmjagd mit japanischem Papier

Nach Abschluss dieser Arbeiten und dem Abbau des Baugerüsts war das Chorgestühl aus dem 16. Jahrhundert an der Reihe. Durch seine kunstvolle und reich verzierte Verarbeitung mit detailreichen Schnitzereien zählte seine Restaurierung zu den anspruchsvollsten Aufgaben. Das Chorgestühl gehört zu den ältesten erhaltenen Kirchenmöbeln in Westfalen. Deshalb wurde es zunächst mit größter Vorsicht gesäubert. Lockere Holzpartikel und abgelöste Malschichten wurden zu ihrem Erhalt fixiert. Schließlich wurde noch ein kleiner Pilzschaden beseitigt. Zur Kontrolle, ob vorhandene Wurmlöcher im Holz des Chorgestühls noch Bewohner hatten, wurden sie mit dünnem Japanpapier verschlossen. Mögliche Holzwürmer würden sich auch durch das Papier knabbern. Da dieses aber nicht „gelocht“ wurde, waren keine weiteren Maßnahmen zur Schädlingsbekämpfung erforderlich. Vier großformatige Gemälde wurden ebenfalls für die Nachwelt gesichert und strahlen nun wieder in brillanten Farben.

  • Der Chor als historischer Ort einer alten Stiftskirche.
    © BLB NRW
    Hohe Wände und schöne Fenster

    Der historische Chor versprüht eine ruhige und heilige Atmosphäre. 

  • Gebäudereiniger beim Säubern der alten Deckenmalereien.
    © BLB NRW
    Umfangreiche Maßnahmen

    In anstrengender Handarbeit wurden die filigranen Deckenmalereien gesäubert und für die weitere Restaurierung vorbereitet. 

  • In einem Bochumer Atelier werden die Kirchengemälde restauriert.
    © BLB NRW Bild: Kirsten Müller
    Künstlerische Aufarbeitung

    Die etwa 300 Jahre alten Kirchengemälde wurden in einem Bochumer Atelier restauriert. 

Wohlfühlklima für Kirche und Besucher

Wegen der vielen Kunstgegenstände in der Kirche wurde das Heizungs- und Lüftungssystem komplett erneuert. Eine moderne Heizungsanlage verteilt die erwärmte Luft nun gleichmäßig im Kirchenraum, sodass eine einheitliche Klimatisierung gewährleistet ist. Dazu trägt auch eine neue Windfanganlage am Haupteingang bei, die eine Pufferzone zwischen der Außenwelt und dem Kirchenraum bildet. 

Wenn Menschen die Stiftskirche heute durch diesen Eingang betreten haben, zieht diese sie wie eh und je in ihren Bann. Das Licht, das wieder klar durch die restaurierten Fenster fällt, lenkt den Blick auf den neugotischen Hochaltar mit seinem Triumphkreuz. Und spätestens beim Anblick des Chorgestühls oder der kunstvollen Deckenmalereien gerät man bewundernd ins Staunen – so, wie schon Mönche oder Besucherinnen und Besucher in den letzten 900 Jahren.

Wieso gehören dem Land Nordrhein-Westfalen Kirchen?

Das ist eine lange Geschichte. Preußen und Österreich kämpften seit Ende des 18. Jahrhunderts gegen die junge Französische Republik. Des Krieges müde schlossen sie schließlich Frieden und verzichteten auf alle linksrheinischen Territorien. Dabei wurde vereinbart, sie für ihre Verluste westlich des Rheins zu entschädigen.

1803 wurde diese Entschädigung im sogenannten Reichsdeputationshauptschluss beschlossen. Die Hoheitsrechte der geistlichen Herrscher wurden darin aufgehoben. Dieser Säkularisation genannte Vorgang bedeutete auch die staatliche Einziehung von kirchlichen Besitztümern, also dem Land und dem Vermögen der Stifte, Abteien und Klöster.

Auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens betraf dies das geistliche Kurfürstentum Köln, die Hochstifte Münster und Paderborn sowie das Stift Corvey (Kreis Höxter). Auch die übrigen geistlichen Fürstentümer, zu denen z. B. die Reichsabteien Burtscheid und Kornelimünster bei Aachen und die Reichsstifte (etwa das Kloster Werden in Essen oder die Stifte Elten, Metelen oder Herford) gehörten, wurden aufgelöst.

Die Stiftskirche Cappenberg ging damals an das Königreich Preußen. Mit seiner Gründung im Jahr 1946 trat das Land Nordrhein-Westfalen in die Rechtsnachfolge ein und erlangte so das Eigentum an dem Gotteshaus. Die Stiftskirche gehört wie der Altenberger Dom oder die Kirche St. Andreas in Düsseldorf als sogenannte Sonderliegenschaft dem Land. Der BLB NRW wird im Auftrag der Bezirksregierungen tätig, falls Baumaßnahmen erforderlich sind.


Dieser Beitrag erschien 2024 in unserer Publikation "Einblicke". Die vollständige Ausgabe finden Sie hier.

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