Beispielhaft: vom Zuchthaus zur modernen JVA

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Beispielhaft: vom Zuchthaus zur modernen JVA

Justizvollzugsanstalt Rheinbach

„Zeigt mir nicht eure Paläste, sondern eure Gefängnisse, denn an ihnen misst sich der Zivilisationsgrad einer Nation“, schrieb der französische Philosoph Voltaire einmal. Wenn es danach geht, haben wir hier in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren viel erreicht – erst recht im Rückblick auf die Jahrzehnte und Jahrhunderte zuvor. Ein gutes Beispiel für das schon Erreichte ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) Rheinbach südlich von Bonn.

Gut, dass diese Zeiten vorbei sind: Das germanische und das fränkische Strafrecht setzten noch voll auf die Blutgerichtsbarkeit, die Vergeltung oder die Unschädlichmachung des Rechtsbrechers durch Leib- und Lebensstrafen. Dazu gehörten etwa Schlage, das Blenden, Verstümmelungen oder die (langsame und schmerzhafte) Herbeiführung des Todes. Freiheitsstrafen im heutigen Sinn gab es nicht.

Im 4. Jahrhundert ist erstmals der Besserungsgedanke im Strafrecht nachweisbar. Die „neue“ Freiheitsstrafe ist noch eine Sonderform der Leibesstrafe, bei der es darum geht, die Gefangenen durch den Aufenthalt in zum Teil fensterlosen Rathauskellern oder Verliesen in den Türmen von Burgen und Stadtmauern besonders zu quälen und so zum Guten zu bekehren. Diese Haftbedingungen verbessern sich langsam erst ab dem 16. Jahrhundert. Arbeits- und Zuchthäuser entstehen als erste echte Reformanstalten, in denen die Gefangenen durch strenge Ordnung und Arbeit an ein ordentliches, gesetzestreues Leben gewohnt werden sollen. Nach einer kurzen Blütephase machen die wirtschaftlichen Folgen des Dreißigjährigen Krieges diese Reformen wieder zunichte und das Zuchthaus bekommt seinen bis heute schlechten Ruf.

Unter dem Einfluss des Humanismus werden die Leibstrafen gegen Ende des 18. Jahrhunderts größtenteils durch Haftstrafen verdrängt. Geld für einen „modernen“ Strafvollzug fehlt jedoch weiterhin, ebenso Haftplatze, sodass ausgediente Schlosser und Kloster zu Haftanstalten umgebaut werden – in Nordrhein- Westfalen etwa die Abteien Brauweiler bei Köln, Werden in Essen und Michaelsberg in Siegburg. Als letztere im Jahr 1914 schließt, werden die Gefangenen in die neu gebaute „Königliche Strafanstalt Rotterbach bei Rheinbach“ verlegt, die Vorläuferin der heutigen JVA Rheinbach.

JVA Rheinbach 1930
© BLB NRW Bild: JVA Rheinbach
JVA Rheinbach 1930
Das Zuchthaus Rheinbach um 1930.
Die Königliche Strafanstalt Rheinbach  

Die nach englischem Vorbild in Kreuzbauweise geplante Strafanstalt ist panoptisch gestaltet und bietet 714 Haftplatze. Es herrscht damals militärische Disziplin, Vergehen werden mit bis zu 30 Stockschlagen geahndet. Als Strafverschärfung müssen die Inhaftierten harte Arbeiten verrichten, denn Rheinbach ist kein gewöhnliches Gefängnis, sondern ein Zuchthaus. 

Gleichwohl finden die Insassen für die damalige Zeit moderne Verhältnisse vor: Das Gebäude verfügt über 469 Wohn- und 55 Schlafzellen, wobei erstere zum Teil für eine Belegung mit drei Gefangenen vorgesehen sind. Die Schlafzellen haben eine Grundflache von 3,8 Quadratmetern, während die übrigen Normalzellen über 7,7 Quadratmeter Grundflache verfugen. Die Zellenfenster sind meist recht hoch angebracht und erlauben keinen Blick nach draußen, nur ein Oberlicht lasst sich öffnen. Alle Zellen haben elektrisches Licht und können geheizt werden. Toiletten gibt es noch nicht, nur einen Kübel mit Deckel. Arbeiten werden in Werkstatten verrichtet, häufig aber auch in den Zellen.  

Vom Zuchthaus zur JVA

In der Weimarer Republik erfahrt der Strafvollzug 1923 erneut eine Reform: Statt Abschreckung und Vergeltung treten der Erziehungsgedanke und der nach der Schwere des Delikts gestaffelte Stufenvollzug in den Vordergrund. Dunkelhaft und Schlage zur Disziplinierung werden abgeschafft. Im Dritten Reich werden die Reformen zurückgedreht, unmenschliche Haftbedingungen, Willkür und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestimmen den Haftalltag auch in Rheinbach.

Die junge Bundesrepublik knüpft glücklicherweise an die Weimarer Zeit an und leitet schließlich den Übergang zum bis heute gültigen Behandlungs- und Resozialisierungsvollzug ein. Mit der Strafrechtsreform 1969 wird die Zuchthausstrafe abgeschafft und Rheinbach zur heutigen Justizvollzugsanstalt. 1976 wird das Strafvollzugsgesetz erlassen. Die zugrunde liegende Idee: Gefangene durch Ausbildung und Unterricht, durch Beratung zur Losung persönlicher und wirtschaftlicher Probleme sowie durch die Beteiligung an gemeinschaftlichen Aufgaben in der Anstalt wieder in das Sozial- und Wirtschaftsleben einzubeziehen. Dieser neue Anspruch hat auch für den Gefängnisbau Konsequenzen, und es erfolgt eine Reihe von Neubauten und Modernisierungen.  

Der moderne Justizvollzug heute

Im modernen Justizvollzug von heute müssen nicht nur die Gebäude neue Funktionen erfüllen, sondern auch die Bediensteten, die eine Vielzahl von Behandlungs- und Betreuungsaufgaben übertragen bekommen haben. „Justizvollzug ist Veränderung“, sagt Andrea Hupfer, die in der JVA Rheinbach die Bereiche Bau sowie Sicherheit und Ordnung leitet. „Sport-, Musik- und Kunstangebote – das gab es früher so nicht, ebenso Freizeit- und Gesprächsgruppen, Antiaggressionstrainings und vieles mehr.“  All diese Aktivitäten füllen den Resozialisierungsgedanken mit Leben, und moderne Justizbauten geben ihnen den Raum dazu. 

  • JVA Willich ein Neubau entsteht
    © BLB NRW Bild: Benjamin Westhoff
    JVA Willich ein Neubau entsteht
    Wie hier in Willich entstehen im Rahmen des JVMoP momentan drei weitere JVA-Neubauten.
  • JVA Rheinbach Zelle um 1910
    © BLB NRW
    JVA Rheinbach Zelle um 1910
    Zelle um 1910: Das Bett musste morgens hochgeklappt werden, es wurde in der Bibel gelesen oder gearbeitet. Ein Eimer diente als Toilette. Fenster boten (anders als hier gezeigt) in der Regel keinen Blick nach draußen.
  • JVA Rheinbach Neubau
    © BLB NRW Bild: agn-Architekten
    JVA Rheinbach Neubau
    Das neue Hafthaus C kurz vor der Fertigstellung.
  • Innenansicht einer Haftzelle von 1990
    © BLB NRW
    Innenansicht einer Haftzelle von 1990 -
    Zelle um 1990* Die Inhaftierten konnten einen kleinen Fernseher oder ein Radio mitbringen. Hinter der Abtrennung befinden sich Waschbecken und Toilette. Arbeiten erfolgen in den Gefängniswerkstatten oder -einrichtungen.
  • JVA Rheinbach hell und modern - die neuen Zellen
    © BLB NRW Bild: Benjamin Westhoff
    JVA Rheinbach hell und modern - die neuen Zellen
    Hell und modern: Aktuelle Haftzelle in der JVA Rheinbach – hier noch ohne Matratze und persönliche Einrichtung. Sie misst circa 11 m² und verfügt über eine vandalismussichere Möblierung sowie (nicht im Bild) eine moderne Nasszelle.
Immer auf der Höhe der Zeit

Die JVA Rheinbach durchläuft ein fortwährendes Modernisierungsprogramm. Die Mauer um die JVA wurde erweitert und die Anstalt wächst. Moderne Vollzugsbauten entstehen, damit die unterschiedlichen Anforderungen an einen modernen Justizvollzug erfüllt werden. Ein Kunstrasenplatz erweitert seit 2005 das Freizeitangebot, 2009 kommt eine Sporthalle dazu. Neue Werkhallen (Fertigstellung 2012 und 2021) sowie ein Neubau für Küche und Wascherei (Fertigstellung 2021) schaffen zeitgemäße Arbeitsbedingungen.

Diese und viele weitere Maßnahmen folgen einem Plan, den das Ministerium der Justiz, die JVA Rheinbach sowie der BLB NRW im Jahr 2003 beschlossen haben. Rund 85 Millionen Euro hat das Land Nordrhein- Westfalen bereits in den Standort Rheinbach investiert, aktuell wird immer noch weitergebaut und modernisiert. 

Bauen im Hochsicherheitsbereich 

Seit 1998 wurden die drei Flügel A, B und D des Kreuzbaus saniert, um zeitgemäße Haftbedingungen zu schaffen. Zuletzt folgte ab 2015 der Neubau des erweiterten C-Flügels, der unmittelbar am Knotenpunkt des bestehenden Kreuzbaus ansetzt und sich auf vier Etagen über eine Fläche von 6.290 Quadratmetern erstreckt.

Die eigentliche Bauzeit nach dem Abriss des alten C-Flügels betrug drei Jahre. „Das lag in erster Linie an den hohen Sicherheitsanforderungen“, erklärt Projektentwickler Martin Schmidt aus der Kölner Niederlassung des BLB NRW. „Bei solchen Projekten gelten besonders hohe Sicherheitsanforderungen, was etwa die Baustellenlogistik erschwert. Auch die Anforderungen an die ausführenden Firmen und deren Personal sind in puncto Zuverlässigkeit natürlich sehr hoch.“ So kann es vorkommen, dass vorbestraften Handwerkern der Zutritt zur Baustelle verwehrt bleibt. Um den eigentlichen JVA-Betrieb, der ja weiterlief, nicht zu stören, wurde eigens ein neuer Sicherheitsbereich zur Trennung der Baustelle vom übrigen Anstaltsgelände geschaffen. Zusätzlich wurde die bestehende Haftmauer für eine Baustellenzufahrt durchbrochen und eine provisorische Schleuse eingerichtet, sodass die einzelnen Baustellenanlieferungen nicht durch die eigentliche Schleuse der JVA erfolgen mussten und die internen Abläufe der JVA ohne Beeinträchtigungen weiterlaufen konnten.

Der Aufwand hat sich gelohnt: Seit der Eröffnung im letzten Jahr stehen im C- und E-Flügel 229 neue Haftplätze zur Verfügung. Die Gesamtbelegung der Anstalt liegt nun bei 613 Haftplätzen. „Der Belegungsdruck hat sich durch die zusätzlichen Plätze extrem reduziert“, berichtet Andrea Hupfer, „und wir müssen seitdem keine Gefangenen mehr zusammenlegen.“ Die Zellentrakte erstrecken sich über drei Etagen, eine Etage ist dem sogenannten Funktionsbereich vorbehalten, der auch die Kammer beherbergt. Statt vormals 7,7 Quadratmetern stehen den Insassen nun rund 11 Quadratmetern Zellenfläche zur Verfügung, wobei, und das ist Andrea Hupfer wichtig, auch alle älteren Zellen den höchstrichterlichen Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung entsprechen. „Der Neubau kommt auch der Betreuung zugute, denn die Justizbeschäftigten haben ihre Büros nun direkt im Hafthaus. Durch die kurzen Wege können unsere Sozialarbeiter die Insassen deutlich enger betreuen“, freut sich Andrea Hupfer. 

"Der Neubau kommt auch der Betreuung zugute, denn die Justizbeschäftigten haben ihre Büros nun direkt im Hafthaus. Durch die kurzen Wege können unsere Sozialarbeiter die Insassen deutlich enger betreuen."
Andrea Hupfer
JVA Rheinbach
Hilfe bei der Resozialisierung

Neben der Arbeit der Sozialarbeiter gibt es eine Vielzahl weiterer Angebote, damit die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Haft gelingt. So gibt es zahlreiche Möglichkeiten, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Die Insassen können zum Beispiel am IHK-zertifizierten, einjährigen Ausbildungsmodul „Einstiegsqualifizierung Gastgewerbe Speisenvorbereitung“ teilnehmen und, wieder in Freiheit, eine Ausbildung zum Koch beginnen. Etwa die Hälfte der Insassen geht täglich einer Beschäftigung nach. Die Angebote reichen von handwerklichen Tätigkeiten in der Buchbinderei, der Schlosserei und der Schreinerei bis hin zu Bildungsangeboten in der anstaltseigenen Schule.

Auch Freizeitangebote dienen der Strukturierung des Alltags hinter Mauern, dem sozialen Austausch und somit letztlich auch der Vorbereitung auf ein Leben nach der Haft. Den Inhaftierten stehen zahlreiche Möglichkeiten offen, vor allem im Sportbereich. „Angeboten werden zum Beispiel Fußball, Volleyball oder freie Sportgruppen, natürlich immer unter Aufsicht“, erzählt Andrea Hupfer. „Der Renner ist natürlich Kraftsport, das hilft den Insassen am besten dabei, – manchmal auch überschüssige – Energie loszuwerden.“ Daneben gibt es die Klassiker Schach- und Kartenspiel oder Musikgruppen sowie Mal- und Kochkurse.

Haft im Alter

Der demografische Wandel geht auch am Justizvollzug nicht vorbei. So verfügt die JVA Rheinbach seit 2015 über eine neue Abteilung für bis zu 16 lebensältere Inhaftierte im geschlossenen Vollzug. Die Ausgestaltung, Behandlung und Betreuung ist speziell auf die Bedürfnisse Lebensälterer zugeschnitten. So geht die soziale Betreuung auf die besonderen Fragestellungen und Problemlagen der Senioren ein, etwa die Beantragung der Rente oder die Unterbringung nach der Entlassung. „Der Bereich ist etwas vom Rest der Anstalt abgeschottet, dadurch ruhiger und hat mehr den Charakter einer WG“, erklärt Andrea Hupfer und fährt fort: „Bauseits mussten wir hier eine altersgerechte und barrierefreie Unterbringung herstellen, aber dazu reichten schon kleinere Maßnahmen. In den Sanitärräumen gibt es zum Beispiel Duschhocker. Und gehbehinderte Insassen, die etwa auf einen Rollator angewiesen sind, dürfen auch schon mal den Aufzug für die Bediensteten benutzen.“ Eine weitere kleine Anpassung findet sich im Hof, der eben- falls vom Rest der Haftanstalt getrennt ist: „Hier gibt es ein paar Beete, in denen die lebensälteren Inhaftierten Gemüse und Obst für die Gemeinschaftsküche anbauen oder Blumen anpflanzen.“

Der Justizvollzug und seine Bauten verändern sich weiter – für bessere Haft- und Resozialisierungsbedingungen und einen erfolgreichen Wiedereintritt in die Gesellschaft. Denn auch daran misst sich der Zivilisationsgrad einer Nation.

In den nächsten Jahren wird in der Justizvollzugsanstalt Rheinbach das Gebäude, in dem sich die alte Küche und die alte Wäscherei befinden, abgerissen und das daran angrenzende Heizungsgebäude saniert. Zudem wird noch ein Verbindungsgang vom neuen Küchengebäude zum Hafthaus gebaut, um Speisen geschützt vor der Witterung ins Hafthaus transportieren zu können. Des Weiteren erfolgt der Umbau des D-Flügels zu einer Schulabteilung sowie zu Büro- und Funktionsräumen.

Der Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen

Das Justizvollzugsportfolio des BLB NRW umfasst etwa 660 Bauwerke, mehrheitlich Justizvollzugsanstalten und deren Zweigstellen sowie Jugendarrestanstalten und das Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg. Die Mietflache beträgt etwa 1 Million Quadratmeter, von denen 124.000 Quadratmeter (12 Prozent) denkmalgeschützt sind.

Der nordrhein-westfälische Justizvollzug in Zahlen

  • 36 selbstständige Justizvollzugsanstalten
  • über 9.700 Bedienstete
  • rund 18.900 Haftplätze, davon 17.700 für Männer und 1.200 für Frauen

Investition in die Zukunft

Viele der 36 nordrhein-westfälischen JVA Standorte haben Sanierungs- und Modernisierungsbedarf. Diesem begegnet der BLB NRW mit zahlreichen laufenden Maßnahmen wie etwa in Rheinbach. Zusätzlich hat das Land das Justizvollzugsmodernisierungsprogramm (JVMoP) aufgelegt. Das Maßnahmenpaket sieht die Modernisierung von insgesamt 2.748 Haftplätzen an den bestehenden Standorten Willich, Münster, Iserlohn und Köln vor. Der BLB NRW verantwortet als Bauherr die Realisierung mit vollzuglicher Unterstützung der Justiz, um zeitgemäße Arbeits- und Haftbedingungen zu schaffen.

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